Berliner Radlerinnen unterstützen den Volksentscheid Fahrrad, denn …

Von | 29. April 2017

Clemens Rudolf im Gespräch mit der 29-jährigen Berlinerin Juliane Schumacher über ihr Buch “How to survive als: Radfahrer”.

Nachdem du schon einige Jahre als Bloggerin übers Fahrradfahren schreibst, freue ich mich, demnächst ein Buch von dir in der Hand halten zu können. Worüber schreibst du und an wen richtet sich das Buch?

Das Buch handelt vom Radfahren in der Stadt in all seinen Facetten. Ich erzähle u.a. Geschichten aus meinem Alltag als Radfahrerin und verknüpfe diese mit praktischen Tipps, wie man mit bestimmten Situationen umgehen kann. Dabei soll das Buch auch eine kleine Hilfestellung sein für Menschen, die sich aus irgendeinem Grund gehemmt fühlen aufs Rad zu steigen. Es ist aber genauso für die, die es lieben, sich auf zwei Rädern fortzubewegen und einfach gern ein paar Anekdoten aus dem Leben einer Großstadtradlerin lesen wollen.
Ich freue mich, wenn die Leser sich unterhalten fühlen, etwas lernen oder auch sich selbst in einer Erfahrung wiederfinden.
Dabei versuche ich, dogmenfrei zu schreiben. Ich zeige verschiedene Aspekte des Radfahrens auf und überlasse es dem Leser, sein Urteil darüber selbst zu fällen.

Der Titel „How to survive…. – wie man auf dem Fahrrad in der Stadt überlebt“ ist ja der Buchserie geschuldet und ironisch gemeint. Nichtsdestotrotz hat er für mich im Kontext auf Berlin auch einen Beigeschmack, letztes Jahr starben hier 17 Radfahrer. Gab es diese Sensibilität auch auf Seiten des Verlags, beziehungsweise auch Überlegungen, hier einen anderen Titel zu wählen?

Das verstehe ich. Ganz sicher gab es hier nie die Absicht, jemanden zu verletzen oder die Ernsthaftigkeit der Unfälle infrage zu stellen. Es ist schlimm, dass die Zahl so hoch ist und jeder einzelne ist zu viel. Der Titel ist aber Teil einer Reihe, insofern gab es diesbezüglich keine Überlegungen, eine andere Überschrift zu wählen. Viele Bücher in dieser Reihe und die darin beschriebenen Situationen sind nicht immer zu 100% ernst gemeint, sondern auch mit einem Augenzwinkern geschrieben worden, so auch mein Buch. Ich möchte aber betonen, dass der Inhalt meines Buches größtenteils schon ernst gemeint ist. Das Buch soll aber natürlich auch unterhalten.

Wir haben in Berlin ganz offensichtlich ein Verkehrsinfrastrukturproblem. Wie schnell man selbst Opfer eines solchen Unfalls werden könnte, dass beschreibe ich auch im Buch in einer Situation vom Sommer 2015 mit einem Betonmischfahrzeug, bei dem es mir jetzt noch kalt den Rücken runter läuft, wenn ich nur daran denke.

In Deutschland gilt Radfahren als beliebteste Freizeitsportart mit dutzenden unterschiedlichen Szenen, Disziplinen und Altersgruppen, also in der Tat einer wahren “Fahrradkultur” in den verschiedensten Ausprägungen. Wo siehst du dich da?

Fahrradfahren ist für mich keine reine Freizeitbeschäftigung. Es ist für mich das Fortbewegungsmittel erster Wahl in der Stadt und das Fahrrad auch ein Alltagsgegenstand. Das war nicht immer so, sondern hat sich so entwickelt. Ich würde mich somit selbst als Alltagsradlerin bezeichnen und das Radfahren ist eine Routine, die ganz einfach dazugehört. Gerne mache ich aber auch im Urlaub längere Fahrradtouren über mehrere Tage oder gar Wochen. Das fällt dann wohl in die Kategorie des Freizeitradelns.

Die Aktivistenszene ist in den letzten fünf Jahre konstant gewachsen. Beim Volksentscheid Fahrrad merken wir, dass viele Menschen etwas verändern wollen und mit der aktuellen Situation/Verkehrsinfrastruktur für Radfahrende nicht zufrieden sind. Insofern bieten wir hier auch einen organisatorischen Rahmen, in dem man sich in einer unserer gerade entstehenden Kiezgruppen in seinem Viertel ganz konkret für Veränderungen einsetzen kann, zum Beispiel indem man mit verantwortlichen Politikerinnen in Kontakt tritt.
Ist das auch eine Beobachtung, die du zunehmend bezüglich der Menschen in deiner Umgebung machst?

Das hängt natürlich davon ab in welchem Kreis ich mich bewege. Bei Twitter bin ich beispielsweise auch in dieser, ich nenne es jetzt mal „Bubble der Fahrradszene und des Radaktivismus”.

Was ich aber grundsätzlich beim Volksentscheid Fahrrad sehr spannend finde, ist, dass er so viele verschiedene Menschen mobilisieren konnte, gerade im Frühjahr vergangenen Jahres, als so viele Unterschriften gesammelt wurden. Egal, mit wem ich gesprochen habe, viele hatten diese Initiative, und die damit verbundenen Möglichkeit, etwas zu verändern, regelrecht herbeigesehnt. Es war, als ob ein Knoten platzte. Beispielsweise wollte ich in meiner Firma Unterschriften sammeln, aber ich kam dabei wohl ganz offensichtlich zu spät, denn eine Unterschriftenliste hatte schon jemand anderes ausgelegt.

Im Volksentscheid haben wir erkannt, dass auch wir teils sehr stark männlich geprägt sind. Es gibt bei uns Aktive, die sich dem Thema „Mobilität ist weiblich“ angenommen haben. Grundsätzliche Idee ist, dass eine weibliche Verkehrspolitik zu anderen Ergebnissen und einem anderen Stadtbild führen, als wir es derzeit beobachten können. So sollen Frauen und ihr Anliegen zum Thema Mobilität sichtbarer werden. Wie denkst du darüber?

Das passt auch ganz gut zu meinem Buch und der Tatsache, dass die Agentur hinter der Buchserie mich ausgewählt hat und nicht einen Fahrradblogger mit z.B. technikaffinen Hintergrund. Die Agentur ist natürlich auch durch den Blog auf mich aufmerksam geworden, in dem es, wie auch im Buch, um Alltagsgeschichten rund ums Fahrrad geht. Das ist eine andere Sichtweise, als die oftmals rationale Sicht eines technischen Neuheiten-Bloggers. Eine Sicht auf das Thema, die man sich also auch ganz bewusst so ausgesucht hat, für die sozusagen auch die Zeit reif ist.

Traurig ist, dass ich auch schon sexistische und beleidigende Kommentare zu einem Interview, indem es ums Radfahren und das Buch ging, bekommen habe. Dort wurde ich dann zum Beispiel als “Luxusweibchen“ bezeichnet, was schlichtweg fernab der Realität, oberflächlich, beleidigend und tatsächlich auch einfach sexistisch ist.
Ich frage mich da dann, ob es diese Reaktion so auch auf einen männlichen Autor gegeben hätte.

Was sind für dich die größten Hindernisse und schwierigsten Situationen, denen du als Radfahrerin in Berlin tagtäglich ausgesetzt bist?

Die Infrastruktur für Radfahrende und das Verhalten von Verkehrsteilnehmern sind praktisch jeden Tag ein Thema. Falschparker auf Radstreifen sind ein großes Problem, da ich mich in den fließenden Verkehr einfädeln muss, um sie umfahren zu können. Und der ist natürlich schneller unterwegs. Das fühlt sich dann überhaupt nicht gut an und ist einfach gefährlich. Grundsätzlich hab ich auch immer ein leichtes Unwohlsein, wenn ich auf stark befahrenen Straßen fahren muss. Auch zu schmale, schwer erkennbare Radwege sowie Radwege in schlechtem Zustand sind tagtägliche Probleme, denen man als Radfahrerin in Berlin ausgesetzt ist.

Und demgegenüber, was bereitet dir am meisten Freude als Radfahrerin in dieser Stadt?

Da gibt es vieles, aber besonders mag ich es abseits meiner üblichen Routen zu fahren, beispielsweise wenn ich auf dem Heimweg bin und Zeit habe. Dann wähle ich manchmal nicht einfach nur eine direkte, bekannte Strecke, sondern fahre neue Routen. So entdecke ich immer wieder neue Ecken, lasse mich überraschen und optimiere so auch mein persönliches Radroutennetz.

In Sachen Aufrüstung und Fahrradanschaffung “geht der Trend ja bekanntlich zum Drittrad”: Nach deinem Alltagsrad bist du seit neuestem auch auf einem Faltrad unterwegs. Wann folgt denn ein Lastenrad?

Wenn ich einen sicheren Platz zum Abstellen hätte, wäre das eine Option. Derzeit trage ich tatsächlich auch meine beiden Räder in den 4. Stock, da es im Hinterhof und auf der Straße keine sicheren Abstellanlagen gibt. Mit einem Lastenrad geht das natürlich nicht. Aber, wenn ich darüber nachdenke, benötige ich in meiner Lebenssituation eigentlich auch kein eigenes Lastenrad. Ein Lastenrad-Verleihsystem, bei dem ich mir die ein bis zweimal im Monat, wenn ich tatsächlich ein Lastenrad benötige, leihen könnte, das wäre doch super!

Letzte Woche gab es in der Berliner Zeitung ein Interview mit dir, in dem es ausschließlich ums sogenannte “Kampfradeln” ging. Der Begriff lenkt ja vom eigentlichen Thema ab und ich fühlte mich beim Lesen an eine Debatte von vor fünf Jahren erinnert, die im übrigen in der nicht unironischen Initiative “Ein Herz für Kampfradler” gipfelte. Wie kam es dazu?

Ich hatte ein sehr angenehmes Interview mit dem Redakteur, in dem wir uns auch über andere Themen unterhalten haben, als regelwidriges Verhalten von Radfahrern. Es gibt im Buch tatsächlich aber auch ein Kapitel zum sogenannten Kampfradeln, da ich eben versuchen wollte, möglichst viele Perspektiven aufzunehmen und darzustellen. Ich finde es sehr wichtig, auch als Radfahrer einen Perspektivenwechsel machen.
Grundsätzlich gilt natürlich: Deppen gibt es überall, sei es hinter dem Steuer, auf dem Rad oder auch als Fußgänger. Es gibt nun mal verschiedene Typen und Charaktere.
Im Interview merkte ich durchaus, wie ich thematisch in diese Richtung gedrängt wurde und habe dann auch versucht, dem Redakteur andere Perspektiven aufzuzeigen. Was, wie ich denke, im Interview auch ersichtlich wird. Allerdings ist es auch recht kurz und bietet nicht viel Platz für mehr Inhalt.
Der Redakteur erzählte mir von einer schlechten Erfahrung, die er gemacht hat, in der auch ein kleines Kind involviert war. Es wurde scheinbar auf dem Gehweg fast über den Haufen gefahren. Leider hat der Radfahrer dabei überhaupt keine Einsicht über sein Fehlverhalten gezeigt. Vermutlich ist die Schwerpunktsetzung des Interviews dieser Erfahrung geschuldet. Ich hätte aber tatsächlich nicht gedacht, dass es am Ende so einseitig wird, vor allem den Titel mit Kriegsrhetorik finde ich daneben.

Gerade was das Buch angeht, möchte ich aber nicht so polarisierend sein, denn dort sollen besonders die positiven Effekte des Radfahrens im Mittelpunkt stehen, auch wenn ich von einigen negativen Erfahrungen berichte.

Wichtig ist mir auch, dieses Gemeinschaftsgefühl darzustellen, dass ich bezüglich des Radfahrens in den letzten Jahre erleben durfte. Dazu finden sich auch einige Passagen, übrigens auch über den Volksentscheid Fahrrad.

Zu guter Letzt: Warum unterstützt du den Volksentscheid?

Der Volksentscheid Fahrrad hat ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt und unsere Rolle als Radfahrende gestärkt. Mit Hilfe des Volksbegehrens wurde auf Probleme aufmerksam gemacht und, ja man kann es wohl jetzt schon so sagen, einen längst überfälligen Wandel herbeigeführt.

“How to survive als: Radfahrer” von Juliane Schumacher erschienen im Schwarzkopf und Schwarzkopf Verlag. Ab 1. Mai im Buchhandel erhältlich, kostet 9,99 Euro und eignet sich z.B. wunderbar als Geschenk für Menschen, die das Radfahren neu entdecken wollen.


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