Fahrradfahren – keine Glaubensfrage, sondern Baustein einer flexiblen Mobilität

Von | 24. April 2016
Das Fahrrad als Teil multimodaler Mobilität

Grafik: Rabea Seibert

Von Kerstin Stark, Initiative Volksentscheid Fahrrad

Der Volksentscheid Fahrrad möchte keine Glaubenskriege zwischen Auto- und Fahrradfahrern schüren, sondern eine zukunftsfähige Mobilität für alle ermöglichen. Dazu gehören: ein wenig Gemeinwohlorientierung, gleiche Verkehrsbedingungen und Wahlmöglichkeiten. Wie auch in anderen Radverkehrsfragen lässt sich dabei von Dänemark lernen. Auf der Konferenz der Bauhaus-Universität Weimar zur New Urban Mobility Mitte April 2016 diskutierten Praktiker, Politiker und Aktivisten unter anderem aus Dänemark, den Niederlanden, Frankreich und Deutschland ihre Wege und Vorstellungen einer zukunftsgewandten, innovativen Mobilität. Ich folgte der Präsentation des Vorsitzenden der Danish Cyclists’ Federation und Mitglied der Cycling Embassy of Denmark, Klaus Bondam, per Livestream und wurde zu diesem Beitrag inspiriert.

Klaus Bondam gibt zu verstehen, dass es nicht darum ginge, eine „Kriegszone“ zwischen Auto- und Radfahrenden zu konstruieren. Jeder und jede sei häufig alles: Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger. Mobilität sollte „connectivity“ gewährleisten, also Erreichbarkeit und eine gute Anbindung sowie Flexibilität. In Dänemark sei Radfahren kein Statement, sondern einfach normal, jeder tue es, und es ist einfach eine gute und praktische Art, von A nach B zu kommen. Am Abend fährt eine Person vielleicht mit der Limousine zum Gala-Dinner, zur Arbeit ist sie mit dem Rad gefahren. Ich finde, wir können uns davon eine Scheibe abschneiden in Deutschland, wo die Verkehrsmittelwahl häufig als Glaubensfrage diskutiert wird und die Deutungshoheit über die richtige Mobilität erbittert umkämpft ist.

Aufholen beim Radverkehr für faire Wahlmöglichkeiten

Die Initiative Volksentscheid Fahrrad möchte eine Verbesserung der Bedingungen für den Radverkehr. Da es gerade in den meisten deutschen Städten und insbesondere auch in Berlin schlecht um die Interessen der Radfahrenden bestellt ist, die Übermacht des Autos allgegenwärtig ist, die Aggressivität des Stadtverkehrs in den ersten viereinhalb Monaten des Jahres 2016 schon fünf Todesfälle gefordert hat, muss hier erstmal ein großes Stück Arbeit gestemmt werden, ein ganzer Batzen verschleppten Handelns nachgeholt werden. Es erinnert mich an die Frauenrechtsbewegung: Bevor wir von Gleichberechtigung sprechen können, bevor diese ganz selbstverständlich in allen Köpfen und Institutionen geworden ist, keine gesonderten Beauftragten mehr nötig sind, keine Quotenregelung, so lange sind eine besondere Aufmerksamkeit und besondere Investitionen für den Übergang legitim und unvermeidbar.

An diesem Punkt kommt es zwischen den Vertretern der Autofahrer, dem SPD-Senator Andreas Geisel zum Beispiel, und uns, der Initiative, zu einem Missverständnis: Wir wollen ein Miteinander und kein Gegeneinander. Einen besseren Verkehr, Mobilität für alle. Auch in der Initiative gibt es etliche Autofahrer: Besitzer von eigenen Autos und Carsharing-Nutzer. Es gibt Leute wie mich, deren einziges Rad seit Wochen einen Platten hat, es auch sonst nicht gut fährt und die daher, wenn möglich, das Leihradsystem Call a Bike nutzt. Es gibt natürlich auch Fahrradbegeisterte mit einem Rad für jeden Zweck: lange Touren über Land, für den Stadtverkehr, zum schnellen Fahren, zum Angeben und Fachsimpeln. Und viele von uns nutzen regelmäßig den ÖPNV.

Keine Einzelinteressen, sondern flexible Mobilität ermöglichen

Das entscheidende Ziel sollte sein, wenn wir dem Beispiel Dänemarks folgen wollen, sich der, ich nenne es mal flexiblen Mobilität zu verschreiben. Keine Glaubenskriege, sondern etwas mehr Nüchternheit. Lassen wir gute Gründe in die Verkehrsmittelwahl einfließen, um von Fall zu Fall entscheiden zu können. Zu diesen Gründen dürfen aber, und hier kommt das nächste Missverständnis, nicht nur kurzfristige und nicht nur Einzelinteressen gehören. Es wurde der Initiative vom Berliner Senat vorgeworfen, Einzelinteressen gegen das Berliner Gemeinwohl durchsetzen zu wollen. Von einem darin anklingenden fragwürdigen Demokratieverständnis (Pluralismus!) einmal abgesehen, ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Klimaschutz, der Schutz von Gesundheit und Umwelt, nachhaltige Wirtschaftsförderung, das sind Gründe für ein Mehr an Radverkehr und ein Weniger an Autoverkehr. Klaus Bondam stellt Radverkehrsförderung in seinem Vortrag recht nüchtern als eine gute Investition dar. Er nennt einige Zahlen zum dänischen Radverkehrsprojekt der „Cycle Super Highways“: Geplant ist ein Netz aus 300 Kilometern im Großraum Kopenhagen, unterteilt in 26 einzelne Highways. Erwartet wird eine jährliche Einsparung von 7.000 Tonnen CO2 sowie eine Senkung der Gesundheitskosten von umgerechnet mehr als 40 Millionen Euro im Jahr.

Zum Ziel einer flexiblen Mobilität gehört, dass auch in die Verkehrspolitik und Verkehrsplanung gute Gründe einfließen und mehr Nüchternheit einzieht. Den Menschen in Berlin die Wahlmöglichkeit zu geben, sich von Fall zu Fall und unter Abwägung von allgemeinen und individuellen Gründen häufiger für das Fahrrad entscheiden zu können, darin sieht die Initiative Volksentscheid Fahrrad ihren Auftrag. Das ist im Interesse der Berliner Bevölkerung und sollte auch im Interesse von Verwaltung und Politik liegen.


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